Warum gendern?

Das Thema Gendern ist seit einiger Zeit wieder vermehrt im Fokus. Umfragen zum Gebrauch sind immer gern gemacht und gelesen und befeuern die Diskussion unnötig. 2022 startete die Ostsee Zeitung eine Umfrage. Sie wollte herausfinden, als wie störend Gendern und Anglizismen (spannend, dass beides in einer Umfrage verbunden wurde) in der Deutschen Sprache empfunden werden. Die Firma Mattel hat im April 2022 für das Spiel Scrabble einen neuen Stein herausgebracht: den Gender-Stein. Mattel nennt es auch den Stein des Ansto­ßes – wie passend.



Warum gendern?

Die öffentliche Wahrnehmung von Personen, die sich nicht oder nicht nur mit einem der biologischen Geschlechter (weiblich oder männlich) identifizieren, steigt. Das bedeutet nicht, dass deren Präsenz steigt. Es gab sie schon immer. Sie wurden nur bislang nicht gehört oder hatten nicht den Mut, sich zu ihrer Identität zu äußern. Beim Gendern geht es um nichts weniger, als um das Ansprechen, Sichtbarmachen und somit Akzeptieren dieser Personen.

Texte sind Ausdruck von Gedanken und somit Repräsentation von Ansichten. Die Entscheidung für oder gegen das Gendern in einem Text ist somit ein klares Statement. Oder kann und sollte als solches gelesen werden.



Drei Varianten des Genderns

Unter dem Oberbegriff Gendern lassen sich drei sprachliche Umsetzungsmöglichkeiten zusammenfassen.

Geschlechtergerechte Sprache

Geschlechtergerechte Sprache steht für den sprachlichen Ausdruck der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Werden in einem Text weibliche und männliche Vollformen wie zum Beispiel Leserinnen und Leser verwendet, ist dieser Text geschlechtergerecht formuliert. Mit geschlechtergerechter Sprache drückt man also aus: Die Geschlechter (Frau und Mann) sind gleichwertig und sind daher im Text gleichermaßen angesprochen.

Geschlechterneutrale Sprache

Möchte man in einem Text nicht explizit auf Geschlechter eingehen, kann auf geschlechterneutrale Sprache ausgewichen werden. Diese ist gekennzeichnet durch Formulierungen, die an sich nicht auf ein biologisches Geschlecht referenzieren wie zum Beispiel Lesende. Die Verwendung geschlechterneutraler Sprache ist nicht immer konsequent möglich. Nicht alle Nomen sind im deutschen Wortschatz auch in einer geschlechterneutralen Form enthalten (zum Beispiel: Arzt).

Geschlechtersensible Sprache

Aus der Tatsache fehlender geschlechterneutraler Formulierungen und dem Wunsch heraus, sprachlich auch Personen anzusprechen, die sich nicht (nur) mit einem der biologischen Geschlechter identifizieren, ist die geschlechtersensible Sprache entstanden. Diese wird beispielsweise durch die Verwendung des Gendersterns gekennzeichnet wie zum Beispiel in Leser*innen. Und die damit einhergehende lautliche Realisierung einer Sprechpause. Der Genderstern kann und sollte gemäß seiner ursprünglichen Bedeutung in der IT verstanden werden: als Wildcard, also als Platzhalter für einen beliebigen Wert.



Worum es beim Gendern also geht

Viele Kritikerinnen – Männer sind hier mit gemeint – der geschlechtergerechten Sprache sagen, dass das grammatikalische Geschlecht nicht mit dem sexuellen Geschlecht identisch ist. „Genus ungleich Sexus“ rufen die Verfechterinnen des Status quo. Das ist auch absolut korrekt, geht aber am Kern der Sache vorbei. Bei geschlechtergerechter und geschlechtersensibler Sprache geht es nicht darum, auf Menschen mit Penis nur Wörter mit maskulinem Genus anzuwenden oder auf Menschen mit Vagina nur Wörter mit weiblichem Genus. Das verlangt auch niemand. Denn das brächte uns stellenweise in arge Bedrängnis. Manche auf Frauen verweisende Wörter haben das Genus Neutrum: das Mädchen, das Fräulein. Mir fällt auf die Schnelle nur ein sächliches Wort ein, dass auch auf Männer Anwendung finden kann: das Weichei.

Bei geschlechtergerechter und geschlechtersensibler Sprache geht es darum, dass die Gleichbehandlung von Menschen sich auch in der Sprache widerspiegeln muss. Es geht darum, dass bei der Verwendung des generischen Maskulinums (zum Beispiel Leser) im Schriftbild nur der männliche Teil der Leserschaft explizit angesprochen wird. Erst recht dann, wenn auch geschlechtergerechte Formulierungen (Leserinnen und Leser) oder gar geschlechterneutrale Formulierungen (Lesende, Leserschaft) möglich sind.

Auch wenn man in seinem Bekanntenkreis keine Person hat, die sich als gender-fluent, gender-neutral, intersexuell, non-binär, trans oder two-spirit (Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit) identifiziert, existieren diese Menschen. Kein Mann liest hat es gern, als »Kritikerin« oder »Verfechterin« angesprochen worden zu sein. Womöglich dachte er, er sei nicht angesprochen oder nicht gemeint. Immerhin ist er ja ein Mann und keine Frau. Und eine Frau ist eben kein Mann. Und eine non-binäre Person ist eben keines oder nicht nur eines von beidem. Und dennoch hat jeder ein Recht darauf, sprachlich und gesellschaftlich inkludiert zu werden.



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